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Austeritätspolitik ohne Legitimität.

Der Troika-Bericht des Europäischen Parlaments stellt die Krisenpolitik nicht in Frage

Der Artikel erschien in gekürzter Fassung in analyse & kritik, Nr. 594, S.8, 2014. Der ungekürzte Artikel ist hier zu finden.

Die Abgeordneten hätten die „Notbremse gegen den Mangel an Transparenz und Rechenschaftspflicht der Troika“ gezogen, kommentierte der Grünenabgeordnete Sven Giegold die Abstimmung des Troika-Berichtes im Europäischen Parlament. Im März haben die Abgeordneten mit viel Medienöffentlichkeit ihr Unbehagen über die sogenannte „Rettungspolitik“ der Troika ausgedrückt und mit großer Mehrheit einem Untersuchungsbericht über die Rolle und Tätigkeit des austeritärem Dreiergespanns zugestimmt. Die Troika ist im Jahr 2010 im Zuge der drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands von den Mitgliedstaaten der Eurozone gegründet worden und besteht aus dem Internationalen Weltwährungsfond (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, die Bedingungen für die Kreditvergabe – ein sogenanntes Memorandum of Understandig (MoU) – mit den betroffenen Ländern auszuhandeln und zu überprüfen, ob diese eingehalten werden.

Und wahrlich ist der Untersuchungsbericht des Europäischen Parlaments auf den ersten Blick ungewöhnlich kritisch. Das Mandat der Troika sei „unklar, intransparent und einer demokratischen Kontrolle entbehrend“. Außerdem konstatiert das Parlament in seinem Bericht, dass „im Primärrecht der Union keine passende Rechtsgrundlage für die Einsetzung der Troika gefunden wurde“, womit es feststellt, dass sich die Troika bis zur Verabschiedung der TwoPack Regelungen[1] außerhalb des europäischen Rechts befand. Gleichzeitig beklagt das Parlament, dass die Wachstumsprognosen der Troika „allzu optimistisch“ gewesen und die negativen Wirkungen der Kürzungspolitik auf das Wachstum nicht berücksichtigt wurden seien, ebenso wie die „Abmilderung der negativen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen“ in den Krisenländern selbst. Am Schluss des Berichts fordert das Parlament die schrittweise Abschaffung der Troika, die Integration der MoU in das Gemeinschaftsrecht und die Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsfonds (EWF). Der EWF soll die finanziellen Ressourcen des ESM mit den Sachkenntnissen der EU-Kommission kombinieren und auf Grundlage des Gemeinschaftsrechts agieren.

Auf den zweiten Blick jedoch entpuppt sich der Bericht als ein zahnloser Papiertiger. Zum einen liegt das an der begrenzten Untersuchung des Europäischen Parlaments selbst. So konzentriert sich der Bericht nur auf die Länder Griechenland, Portugal, Zypern und Irland, womit vollkommen übersehen wird, dass auch die spanische Regierung ein MoU der Troika unterzeichnet hat. Gleichzeitig stellt der Bericht die Politik der Troika und ihr Vorgehen in der Krise nicht per se in Frage. Vielmehr betont der Bericht an mehreren Stellen, dass die Einsetzung der Troika und die Ausrichtung ihrer Politik unter den gegebenen wirtschaftlichen Umständen, in der „die Gefahr einer Auflösung des Euroraums deutlich spürbar war“, eine richtige Entscheidung darstellte, zu der es in dieser Zeit keine anderen Alternativen gegeben hätte. Der Fokus des Berichts liegt damit auch nicht auf einer generellen Kritik an der Troika, sondern vielmehr auf den fehlenden Mitsprachekompetenzen des Europäischen Parlaments bei der Troikapolitik. So verliert sich der Bericht oftmals in allgemeinen Aussagen und Mahnungen. So kritisiert die Gruppe TroikaWatch, dass der Bericht eine konkrete Nennung „wer wann wie welche Gesetzte verletzt hat und welche personellen und institutionellen Konsequenzen daraus zu ziehen“ vermissen lässt.

Zum anderen ist der Bericht für die Arbeit der Troika auch recht belanglos, da das Europäische Parlament keine Mitbestimmungsrechte in der Frage über die Ausrichtung und Kompetenzen der Troika hat. Da die Troika von den Mitgliedsländern der Eurogruppe eingesetzt wurde, welche wiederum selbst keine offizielle EU-Institution darstellt, werden die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in allen Fragen, welche die Troika betreffen, außen vor gelassen. Die Entscheidungsbefugnisse liegen allein bei den drei Institutionen der Troika sowie den Mitgliedsländern der Eurogruppe. Das Europäische parlament hat in Fragen der Troika weder Mitentscheidungs- noch Anhörungsrecht. Der Untersuchungsbericht des Parlaments ist damit nicht mehr als eine Stellungnahme. Die „Notbremse“, welche die Abgeordneten des Parlaments nach Meinung von Sven Giegold gezogenen haben wollen ist daher also recht unwirksam und hauptsächlich symbolischer Natur.

Austeritätspolitik ohne parlamentarische Legitimität

Diese Praxis der Ausklammerung des Parlaments bei der gleichzeitigen Stärkung der Exekutiven findet sich auch bei den anderen austeritätspolitischen Maßnahmen der Europäischen Union. So etwa beim Fiskalpakt. Dort kann das Europäische Parlament von den Mitgliedern des „Euro-Gipfels“ eingeladen werden, hat jedoch nur ein Anhörungsrecht[2]. Ähnlich gering sind auch die Kompetenzen in der sogenannten Economic Governance (SixPack/ TwoPack). Die Kommission wird darin zwar angehalten, bei verschiedenen Instrumente zur haushaltspolitischen Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der europäischen Mitgliedsländer (bspw. dem Scoreboard) mit dem Europäischen Parlament zusammen zu arbeiten. Rechtlich verpflichtet ist sie dazu jedoch ebenso wenig, wie Stellungnahmen und Empfehlungen des Parlamentes zu folgen.

Insgesamt wurde mit den austeritätspolitischen Maßnahmen der EU die Kompetenzen der Europäische Kommission und des Europäischen Rates stark ausgebaut, während auf eine gleichzeitige Einbeziehung des Europäisches Parlaments verzichtet wurde. Daher muss auch der Troika-Bericht vor dem Hintergrund des Kräfteverhältnisses zwischen der Kommission und dem Parlament betrachtet werden. So reagierte die Europäische Kommission auf die Verabschiedung des Troika-Berichtes auch relativ eindeutig: Die Einsetzung der Troika war alterativlos und ihre Arbeit in den betroffenen Mitgliedsstaaten erfolgreich. Die Troika haben in den sogenannten Krisenländern „unter den gegebenen, schwierigen Umständen recht gut funktioniert“ meinte etwa Olli Rehn, der Kommissar für Wirtschaft und Währung.

Ebenfalls muss der Bericht als Versuch des Parlaments gewertet werden, die eignen Kompetenzen im Bereich der Austeritätspolitik auszubauen. So betont etwa der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass der Bericht „nicht die Arbeit der Troika an sich kritisiert“, sondern allein ihre Intransparenz und fehlende Rechenschaftspflicht. Durch die Schaffung eines EWF könnten diese Probleme abgebaut werden. Das die Einführung des EWF jedoch nicht automatisch ein Mitbestimmungsrecht für das Europäische Parlament mit sich bringt, übersieht der Bericht. Vielmehr ist die Ausklammerung des Parlaments bei wichtigen austeritäts- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen allgemeine Praxis. So hat das Parlament bei der Wettbewerbspolitik und in einigen Bereichen der gemeinsamen Handelspolitik lediglich ein Anhörungsrecht.

Dass das Europäische Parlament, selbst bei bürgerlichen Beobachtern, bis heute nicht als vollwertiges Parlament betrachtet wird, liegt vor allem an seinem stark eingeschränkten Gestaltungsspielraum. Durch das Fehlen eines Initiativrechts kann es selbst keine Gesetzesvorschläge in den Rechtssetzungsprozess der Europäischen Union einbringen. Gleichzeitig können Verordnungen und Richtlinien, welche durch das Parlament beschlossen worden, noch durch den Rat gestoppt werden. Das also derzeit Angela Merkel an jedem zweiten Baum hängend für die Wahlen zum Europäischen Parlament am 25. Mai wirbt, ist somit sehr beschreibend für die Machtverhältnisse und der Stellung der einzigen direkt gewählten Institution in der Europäischen Union. Daran werden auch nicht die Kompetenzerweiterungen durch den Vertrag von Lissabon etwas ändern, da diese sich hauptsächlich auf eine Ausweitung von Politikbereichen (Energie, Gesundheit etc.) beziehen und dem Parlament Mitsprache bei den Haushaltverhandlungen der EU geben. Dass es sich gerade bei letzterem nur um Mitsprache handelt, haben die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014 – 2020 gezeigt. In denen konnte das Parlament zwar kleinere Erfolge erzielen, musste jedoch die vom Rat festgesetzte Rahmenhöhe von 960 Milliarden Euro akzeptieren, was letztendlich einer Budgetkürzung durch den Rat gleichkam. hnlich wird es wohl auch bei der vielbeworbenen Wahl des Kommissionspräsidenten sein. Zwar schreibt der Vertrag von Lissabon vor, dass das Parlament den Präsidenten der Europäischen Kommission wählt, jedoch ist es der Europäische Rat, der den Kandidaten für das Präsidentenamt vorschlägt. Auch wenn dieser Vorschlag die Ergebnisse der Europawahlen berücksichtigen muss, heißt das noch lange nicht, dass der Rat die, von den europäischen Parteien vorgeschlagenen, Kandidaten, auch als Präsidentschaftskandidaten auswählt. Vielmehr zeichnet sich jetzt schon ab, dass die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, allem voran Angela Merkel, sich ihr Recht, den Kommissionspräsidenten nicht nehmen lasse werden[3].

Mit Wahlen verhindern…

Trotzdem muss das Europäische Parlament als wichtiger Stützpunkt für emanzipatorische Bewegungen und Initiativen auf der Ebene der EU angesehen werden. Denn während bei der Europäischen Kommission, aufgrund ihrer strukturellen Selektivität, vor allem Vorschläge transnationaler Kapitalfraktionen Gehör finden, können sich in der Politik des Europäischen Parlamentes auch NGOs oder die Gewerkschaften einschreiben. Denn auch wenn das Parlament in einigen Bereichen keine Mitspracherechte hat, so benötigen viele Gesetzesinitiativen die Zustimmung des Europäischen Parlaments, womit die Möglichkeit gegeben ist, neoliberale Vorhaben abzuschwächen oder zu verhindern. So konnte beispielsweise in der letzten Legislaturperiode die Aushebelung des Streikrechtes durch die Einführung eines sogenannten „Mindestdienst“ in der Bahnliberalisierung durch das Europäische Parlament verhindert werden. Dies zeigt, dass das Parlament, trotz seiner politischen Ohnmacht in vielen Bereichen, zumindest als „Verhinderungsparlament“ ernstgenommen werden sollte.

… und auf der Straße verändern!

Dennoch ist es aufgrund seiner institutionellen Schwäche nicht in der Lage wirkliche Veränderungen, geschweige denn eine Neugründung der EU voranzutreiben. Vielmehr werden es die Kämpfe und Proteste sein, welche über grundlegende Veränderungen der EU entscheiden werden. Die Antwort auf die Frage, in welchem Europa wir leben wollen, wird daher nicht im Europäischen Parlament, sondern auf den Straßen Europas erkämpft.

Fußnoten      

[1] Konkret seit der Verabschiedung der Verordnung 472/2013. (vgl. ak 574, S.11)

[2] VSKS Art. 8 Abs. 2

[3] So betonte etwa Angela Merkel immer wieder, dass es keinen „Automatismus“ geben dürfen, d.h. nicht jeder Kandidat automatisch Kommissionspräsident werden kann. Wer Präsident wird, muss ihrer Meinung nach eine Entscheidung zwischen dem Parlament und des Rats sein, d.h. die Staats- und Regierungschefs schlagen den Kandidaten vor und das Parlament stimmt diesem Vorschlag zu.

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