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Veranstaltung

Digitale Diskussionsveranstaltung zur EU

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MITTWOCH, 6. MAI 2020, 16.00  – 17.00 UHR
ZUR KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE DER EU IN DER CORONA-KRISE

Mit Inputs von Felix Syrovatka (Universität Tübingen) und Angela Wigger (Radboud University, Nijmegen). Moderation: Tobias Boos (Universität Wien)

Die Corona-Pandemie entwickelt sich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise. In der EU droht eine Wiederholung der Eurokrise, denn die Eurozone ist heute noch fragiler als 2008ff. In Südeuropa wurde die Krise bis heute nicht überwunden, die institutionelle Reform der Architektur der Währungsunion war in den vergangenen Jahren blockiert. Mit Italien steht nun jenes Land im Fokus, in dem sich bereits vor der Corona-Pandemie die Widersprüche der ungleichen Entwicklung in Europa kumuliert und verdichtet haben. 

Felix Syrovatka diskutiert vor diesem Hintergrund Gefahren und Chancen, die auf progressive Akteure angesichts einer neuen Eurokrise zukommen könnten. Angela Wigger untersucht in ihrem Vortrag die Umverteilung von Steuergeldern im Zuge der Corona-Krise und deren gesellschaftliche Folgen. Die Not-Staatsbeihilfen umfassen schon jetzt gute zehn Prozent des Bruttosozialprodukts in der EU. Sie vergleicht die gegenwärtigen Maßnahmen mit dem austeritätspolitischen Krisenmanagement der EU in den Jahren 2008ff. und erörtert Handlungsspielräume für Protest und Alternativen. 

Link zur Veranstaltung: https://zoom.us/j/4560709333

Weiterführende Lektüre: “Corona und die nächste Euro-Krise. Gefahren und Chancen für die Linke”, verfügbar unter https://prokla.de/index.php/PROKLA/article/view/1873

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Artikel

Eurodämmerung in der Coronakrise

Bild von <a href="https://pixabay.com/de/users/Sven_fotografiert-16118972/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=5089587">Sven Förter</a> auf <a href="https://pixabay.com/de/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=5089587">Pixabay</a>
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Von Etienne Schneider und Felix Syrovatka (erschienen in LuXemburg, April 2020)

Auf einen Schlag war alles wieder da. Die Corona-Pandemie weckte die bösen Erinnerungen an die Finanzkrise 2007. Und in der Tat müssen wir heute davon ausgehen, dass die “Vollbremsung des Kapitalismus” (Nachtwey 2020) in Folge der Corona-Pandemie eine weltweite Wirtschaftskrise auslösen wird (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2020). Ein Vergleich mit der Weltfinanzkrise von 2007 drängt sich auf. Ähnlich wie diese hat auch die sich jetzt entfaltende Weltwirtschaftskrise tieferliegende Wurzeln in einem aufgeblasenen Finanzmarkt und in den angehäuften Überkapazitäten der industriellen Produktion, speziell im Automobilsektor (IfG 2020, 8). Die Stilllegung des öffentlichen Lebens und weite Teile der Produktion fallen zusammen mit einem sich dem Ende zuneigenden Konjunkturzyklus. Spätestens seit Anfang des Jahres 2019 kann ein weltweiter Rückgang der Nachfrage und der industriellen Produktion beobachtet werden, der insbesondere in Deutschland zu einer rückläufigen Wertschöpfung und einer zunehmenden Verwertungskrise des industriellen Kapitals führte (BDI 2019). Der größte Treiber des Konjunkturzyklus, der 2008 seinen Anfang nahm, war die nahezu unbegrenzte Bereitstellung von Liquidität durch die Zentralbanken, insbesondere durch die Europäische Zentralbank (EZB) und die amerikanische FED. Diese Form des “Liquiditätsmanagements” behinderte einen Abbau der strukturellen Überakkumulation und führte zu Spekulationsblasen. Der Börsencrash von Anfang März 2020 resultierte in erster Linie aus dem Platzen solcher Blasen (Lapavitsas 2020).

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Übersetzung

Alexis Tsipras in Le Monde zu Corona-Bonds

Die Unnachgiebigkeit bestimmter Führer könnte für die Europäische Union tödlich sein.

Alexis Tsipras in Le Monde, 03.04.2020 | Übersetzt von Felix Syrovatka

Als Griechenland im Jahr 2015 unter der Torheit einer strafenden Sparmaßnahme litt, die nach dem Scheitern zweier Programme des Internationalen Währungsfonds (IWF) die meisten Griechen bereits an den Rand einer humanitären Krise gebracht hatte, dachten die meisten Europäer, dass dieses kleine Land eine Ausnahme bleiben würde. Das von den Griechen erlittene Regime sollte in der Tat als Beispiel für andere Staaten dienen, um nicht dem schlüpfrigen Pfad der hohen Haushaltsdefizite zu folgen. Jetzt, mit der Coronavirus-Krise, werden Haushaltsdefizite in vielen Ländern der Eurozone zu einem allgemeinen Problem.

Auf einer meiner ersten Tagungen des Europäischen Rates versuchte ich, meine Kollegen zu überzeugen, indem ich mich auf Hemingways außergewöhnlichen Roman „Für wen die Glocke schlägt“ bezog. Wenn sie sich mit der Krise in Griechenland befassen würden, wäre die Zeit gekommen, in der sich auch ihre Länder dieser „Logik“ stellen müssten. Als die Verhandlungen dramatisch wurden, informierte ich die europäische Öffentlichkeit in den Kolumnen derselben Zeitung über die unkonstruktive Haltung der Institutionen. Ich beendete meine Rede mit einem Verweis auf das Buch von Ernest Hemingway. Ich sagte, dass das Problem, mit dem wir konfrontiert sind, nicht nur Griechenland betrifft, sondern dass wir im Zentrum eines Konflikts zwischen zwei gegensätzlichen Strategien zur Zukunft Europas stehen. Eine konzentrierte sich auf die politische Integration im Rahmen von Gleichheit und Solidarität. Das andere führte zu einer Fragmentierung und Spaltung.

Ich weiß nicht, wie visionär dieser Artikel im Lichte der aktuellen Ereignisse gewesen sein wird. Ich weiß auch nicht, inwieweit ich meine Kollegen überzeugen konnte. Obwohl die französische und die italienische Regierung Griechenland unterstützt haben, glaube ich nicht, dass sie dies getan haben, weil sie der Ansicht waren, dass die Gefahr bestand, dass eines Tages die Todesglocke für sie erklingen würde. Auf jeden Fall ist der Dialog über die Zukunft Europas trotz der Bemühungen Frankreichs zum Stillstand gekommen.

Diese neue Krise erinnert an die Zeit, in der Hemingways Roman spielt [der spanische Bürgerkrieg, 1936-1939]. Natürlich stehen wir heute nicht vor einem echten Krieg. Aber das ist auch gut so. Unsere Volkswirtschaften schrumpfen von selbst, symmetrisch und in absoluten Zahlen. Und unsere Priorität ist es, Leben zu retten. Schulden können zurückgezahlt oder abgeschrieben werden, wie es nach einem echten Krieg 1953 der Fall war [am 27. Februar 1953 wurde durch das Londoner Abkommen ein großer Teil der deutschen Schulden abgeschafft]. Aber man kann keine Leben zurückbringen.

Es ist „jeder für sich selbst“, was zählt.

In der dramatischen Notsituation, die wir erleben, ist uns bewusst, dass einige führende europäische Politiker die falschen Schlüsse aus früheren Krisen gezogen haben und weiterhin auf dem falschen Weg sind. Anstatt ihre Besessenheit von der Schwere der Bedrohung beiseite zu legen und Solidarität und Zusammenarbeit zu betonen, halten sie an ihrer alten Logik fest: „Wir werden die Schulden des verschwenderischen Südens nicht bezahlen “. Sie denken nicht an die Vergemeinschaftung der Schulden, es ist „jeder für sich selbst“, und wer einen Kredit braucht, wird den Preis dafür zahlen müssen. So wie es Griechenland getan hat. Für sie sind Regeln eben Regeln.

Ich fürchte, dass diese Demonstration extremer und unmoralischer Unnachgiebigkeit seitens der europäischen Führer, die, wie der niederländische Premierminister Mark Rutte, die radikalen Veränderungen, die Europa durchmacht, nicht als Grund für die Unterstützung neuer wirtschaftlicher Instrumente sehen, sich als fatal für die Einheit der Union selbst erweisen wird. Dies ist nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Bedingungen, sondern auch unserer gemeinsamen Werte. Für die Europäer verwirklicht sich der europäische Gedanke, wenn ungarische Ärzte italienische Patienten behandeln, oder niederländische Ärzte in Griechenland dasselbe tun, aber nicht, wenn wir freiwillige Ärzte aus Kuba oder China zur Behandlung italienischer Patienten einfliegen lassen müssen.

Wenn der Bürokrat Klaus Regling, der Generaldirektor des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), den Italienern, den Spaniern und bald auch den Franzosen sagt, dass sie sicher Kredite aufnehmen können, wenn sie die Konditionalität und ein Wirtschaftsprogramm akzeptieren, dann ist klar, dass unabhängig vom wirtschaftlichen Kalkül in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten etwas gerissen ist. Denn im Leben geht es nicht nur um Geld, sondern vor allem um die Würde.

Ich bin mir nach viereinhalb Jahren der Teilnahme am Europäischen Rat sehr wohl bewusst, dass Europa sich nur langsam bewegt, mit kleinen Zusammenstößen und großen Kompromissen. Ich hoffe, dass ein solcher Kompromiss in den nächsten Tagen erreicht werden kann. Die Hauptverantwortung dafür liegt bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie muss sich entscheiden zwischen ihrem Erbe als europäische Führungspersönlichkeit und der öffentlichen Meinung in Deutschland, die seit vielen Jahren mit dem Virus des Chauvinismus infiziert ist. Wenn das Problem in diesem vor allem symbolischen Wort „Eurobonds“ liegt, ist es immer noch möglich, eine Lösung zu finden. Es gibt immer technische Möglichkeiten, mit dem gleichen Ergebnis, aber einem anderen Namen. So könnte es beispielsweise eine Vereinbarung über die Ausgabe einer großen Anleihe durch den ESM geben. Das ESM ermöglicht es, zu ausgezeichneten Bedingungen eine große, aber notwendige Menge an Geld zu leihen, die zum Beispiel dem Betrag entspricht, den die Republikaner und Demokraten in den Vereinigten Staaten zum Schutz der amerikanischen Wirtschaft vereinbart haben. Auf der Grundlage dieses Anleihekredits kann das ESM dann eine Kreditlinie für die Mitgliedsstaaten einrichten, mit keiner anderen Bedingung als der Bewältigung der Wirtschafts- und Gesundheitskrise.

Vorwärts bewegen

Lösungen können gefunden werden, aber, wie John Maynard Keynes in der Zwischenkriegszeit sagte: „Die Schwierigkeit besteht nicht darin, neue Ideen zu entwickeln, sondern die alten hinter sich zu lassen “. Ist der politische Wille vorhanden? Auf jeden Fall müssen die Länder, die das Schreiben an den Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel mit unterzeichnet haben, in welchem sie um Eurobond gebeten haben, bereit sein, weiter über eine europäische Lösung zu verhandeln und nicht nur ihre Uneinigkeit zur Schau zu stellen. Und wenn Angela Merkel schließlich das Lob der deutschen Presse einer starken Initiative für die Einheit der Eurozone vorzieht, sollten diese Länder nicht zögern, gemeinsam neue Schritte zu unternehmen.

Eurobond ohne Deutschland und die Niederlande wird natürlich nicht so stark sein, aber vergessen wir nicht, dass alle anderen Länder zusammen mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone ausmachen. Vorausgesetzt, sie wollen vorankommen. Schließlich ist dies vielleicht die einzige Möglichkeit für ganz Europa, um voranzukommen.

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Artikel Meinung

Wie weiter mit der Eurozone?

Nun hat sich also auch Angela Merkel zu Wort gemeldet: Wie soll die angestrebte »Vertiefung und Vollendung« der Wirtschafts- und Währungsunion aussehen? Welche Vorschläge für die Eurozone liegen auf dem Tisch? Welche Konflikte gibt es? Teil I eines ausführlichen Hintergrunds von Felix Syrovatka vor dem Brüsseler Gipfel Ende Juni. Der Text erschien am 04. und 05.Juni 2018 auf dem Blog der Zeitschrift OXI. Wirtschaft  anders denken.

https://www.flickr.com/photos/chrisgold/8126371893/in/photolist-do6Mfe-oLL61i-oLKXWt-oLL5bn-81R2b1-9aExUg-aw834s-dQ9hjJ-e6rj7f-26QUZbt-9A3SSE-oLu6vp-oJJiyw-aDJ7tP-9A1h9v-cUf1A3-cbjCvS-c1GVz1-arBVNg-aME6Ee-ougMSq-9A3Emy-oJKDhs-aq9UXS-9A1ucF-oLuz5T-8GDLRh-oLup5n-aTgQo4-oLuDVK-7JkhXk-cjeXyY-oJJEeu-ouh4jM-25trfcz-ouhLp5-oLJrb9-oLL32c-eKrxKe-oLuBSr-aME35V-nzNKRM-oJKEF9-aMDQvv-oLJsjG-aMDSik-aME7R2-oLLy34-eKCYvd-aWGwZg
Baustelle Eurozone. Bildquelle: Chris Goldberg via Flickr.com (https://bit.ly/2Jz6DVy) | Lizenz: CC BY-NC 2.0 (https://bit.ly/1jNlqZo)

Ende Juni soll es nun endlich soweit sein. Auf dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel Ende Juni soll über die Vorschläge zur »Vertiefung und Vollendung« der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) beraten werden. Fünf Jahre nach dem offiziellen Start der Debatte durch ein Papier der europäischen Präsidenten von Kommission, Rat, EZB und der Eurogruppe scheint es nun endlich ans eingemachte zu gehen. Seitdem wurden zahlreiche Vorschläge und Konzepte entwickelt wie die Eurozone reformiert, vertieft oder erneuert werden kann. Zuletzt hatte das Interview mit Angela Merkel in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« für Aufregung gesorgt, in der sie ihre Vorstellungen zur Eurozonenreform darlegte.

Aufgrund der Vielzahl an Papiere und Stellungnahmen erscheint jedoch die Diskussion bisweilen unübersichtlich und missverständlich. Eine Übersicht über die verschiedenen Papiere und Vorschläge findet sich hier.

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Meinung

Raus aus dem Euro – rein in die Abhängigkeit?

Yeah! Endlich ist das Buch meines Freundes und Kollegen Etienne Schneider draußen! Da ich es schon vor der Veröffentlichung lesen durfte, kann ich es euch sehr ans Herz legen, arbeitet es nicht nur die Eurodebatte innerhalb der Linken auf, sondern gibt gleichzeitig einen Crashkurs in Politischer Ökonomie und dem EU-Binnenmarkt und seinen Vorgängern.
 
Wer es nicht kaufen möchte, kann das Buch kostenlos auf der Webseite der RLS als PDF herunterladen. Ansonsten lohnt es sich auch für die zukünftige Entwicklung des Euros, ein solches Buch im Bücherschrank zu haben.
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Allgemein Artikel Meinung

Wo ist das Kräfteverhältnis?

Der Artikel erschien am 08. Januar 2014 als Debattenbeitrag im Neuen Deutschland.

Thomas Händel und Frank Puskarev schreiben in ihrem Artikel „Ein sozialistisches Europa?“  vom 26.12.2013 einen kurzen Abriss über die „Europa-Debatte“ in der europäischen Linken. Dabei handeln sie historisch nacheinander verschiedene AkteurInnen dieser Debatte, von Kautsky bis Spirelli , von Habermas bis Huffschmidt ab. Im letzten Abschnitt schlagen die beiden Autoren vor, sich von einer reinen reaktiven Kritik am Krisenmanagement der Europäischen Union zu verabschieden und stattdessen ein „gemeinsames europäisches Alternativprojekt zu formulieren“.

Wie dieses scheinbar „alternative“ Projekt aussehen soll, schieben die beiden Autoren sogleich auch hinter her und skizzieren kurz eine „Konzeption für ein kooperatives, solidarisches Europa“, welche stark an sozialdemokratischen Vorstellungen erinnert. Weder wird die Eigentumsfrage gestellt, noch ist von einer Neugründung Europas die Rede. Vielmehr entpuppt sich dieses, von Händel und Puskarev vorgeschlagene, „Alternativprojekt“, als ein Reformvorschlag für die real existierende Europäische Union, welcher offenbar zur Umsetzung nur noch formuliert werden muss. Dabei übersehen die beiden Autoren nicht nur die jüngsten Diskussionen über ein „Europa von unten“, wie sie derzeit in der europäischen Bewegung gegen die Krisenpolitik der EU geführt werden, sondern auch das reale Kräfteverhältnis in der Europäischen Union. Es reicht daher für die Formulierung eines Alternativprojektes nicht aus, sich ausschließlich auf die Klassiker sozialistischer und sozialdemokratischer Europadiskussion zu beziehen, sondern es benötigt vielmehr eine Analyse der Kräfteverhältnisse auf der europäischen Ebenen und einen Blick auf die Geschichte der Europäischen Union.

Die EU als Elitenprojekt verstehen

Der europäische Integrationsprozess war von Anfang ein Elitenprojekt. Nach dem zweiten Weltkrieg waren es europäische und US-amerikanische Eliten aus dem ökonomischen und politischen Bereich, wie etwa der Politiker Jean Monnet oder das Netzwerk „American Europeanists“ , welche den Integrationsprozess fokussierten und verfolgten.  Mit dem Ende der „Euroskleorose“ (Deppe) und dem Scheitern der keynesianisch-korporatistischen Integrationsweise, Mitte der 1980er Jahre, entwickelte sich die Europäische Gemeinschaft (EG) zu einem wichtigen Stützpunkt europäisierter und transnationalisierter Kapitalfraktionen, was sich in der „wettbewerbsstaatlichen Integrationsweise“ (Ziltener) und der Durchsetzung eines europäischen neoliberalen Hegemonieprojektes äußerte. Netzwerke wie der European Round Tabel of Industrials, der sich aus Repräsentanten der 50 führenden europäischen Industriekonzernen zusammensetzte, waren federführend an den wichtigsten europäischen Projekten, wie etwa dem Binnenmarktprojekt beteiligt. Dies führte dazu, dass europäische und transanationale Institutionen und Organisationen, wie der EuGH, die Europäische Kommission oder europäische Agenturen wie FRONTEX etc. deutlich an Bedeutung gewonnen haben, während gleichzeitig Institutionen wie das Europäische Parlament im Institutionenensemble der EU eine nachgeordnete, marginale Rolle spielen und sich eine wirkliche europäische Zivilgesellschaft im Sinne Gramscis sich nicht herausbilden konnte. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die europäische Ebene aufgrund ihrer Konstruktion eine starke strukturelle Selektivität für europäisierte Kapitalfraktionen aufweist, d.h. Vorschläge dieser Kapitalfraktionen mehr Gehör finden und sich dieser angenommen werden als andere. Gewerkschaften und NGOs können oftmals ihre Interessen nur vermittelt über die nationalen Regierungen in der EU äußern, womit ihnen mit der europäischen Ebene ein wichtiges Kampffeld fehlt.

Kräfteverhältnisse analysieren

Der Vorschlag eines „Alternativprojektes“ von Händel und Puskarev übersieht zudem die Ergebnisse der jüngeren kritischen Europaforschung, wie sie etwa in der Forschungsgruppe Europäische Union in Marburg oder die Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ in Frankfurt zu Tage gefördert wurden. Diese lassen erkennen, dass sich die neoliberale Integrationsweise in der Krise vielmehr verschärft und autoritär zugespitzt hat. Wichtige wirtschaftliche und politische Kompetenzen, welche auf der nationalen Ebene durch demokratisch gewählte Parlamente ausgeübt wurden, sind im Zuge der Krisenpolitik an die europäische Ebene abgegeben worden und werden nun in demokratisch nicht legitimierten Institutionen, wie etwa der Europäischen Kommission verhandelt. Gleichzeitig werden durch die Austeritätspolitik der EU die Gewerkschaften in den Mitgliedsländern geschwächt, die Mindestlöhne gesenkt und die Tarifautonomie geschleift. Der Gewerkschaftsforscher Thorsten Schulten spricht gar von einem „neuen europäischen Interventionismus“ der EU in die nationale Tarifpolitik zur Ungunsten der Lohnabhängigen und Lukas Oberndorfer von der Arbeiterkammer in Wien sieht in der aktuellen Krisenpolitik der EU eine „Radikalisierung des neoliberalen Projekts“  in der die Wettbewerbspolitik autoritär durchgesetzt und institutionell verankert wird.

Interessant ist dabei, dass vor allem jene Volkswirtschaften betroffen sind, in denen das nationale Kräfteverhältnis eine neoliberale Umstrukturierung in dieser Form in Vorkrisenzeiten verhindert hätte. Dadurch werden die Handlungsmöglichkeiten für die Subalternen, ihre Interesse auf der europäischen Ebene zu artikulieren noch weiter eingeschränkt, da die Krisenpolitik der EU auch in die Kräfteverhältnisse in den Mitgliedsstaaten eingreift. Die Krisenbearbeitung durch die europäischen Eliten ist dabei allein auf die Wettbewerbsfähigkeit des europäisierten und transnational orientierten Kapitals ausgerichtet und verfolgt hauptsächlich den Umbau der nationalen Volkswirtschaften zu Exportwirtschaften (vgl. Streeck).

Ein „Alternativprojekt“, was eine Reform der Europäischen Union im sozialdemokratischen Sinne vorschlägt, übersieht genau dieses verfestigte und institutionell auf europäischer Ebene abgesicherte Kräfteverhältnis. Die Institutionen der EU sind vielmehr zu stark vermachtet und die neoliberale Ausrichtung in den europäischen Verträgen (bspw. Lissabon-Vertrag) festgeschrieben, als das eine sozialdemokratische Reform der EU möglich wäre. Ein gegen-hegemoniales Projekt muss vielmehr aus der fragmentierten europäischen Zivilgesellschaft, d.h. aus den verschiedenen Bewegungen und Kämpfen heraus entwickelt werden, welche die beiden Autoren ebenso übersehen.

„Europa von unten“

Es muss den beiden Autoren zugestimmt werden, dass die europäische Linke nicht in einer reaktiven Kritik der europäischen Austeritätspolitik stehen bleiben darf. Das „Staatsprojekt Europa“ (Kannankulam) steht zur Disposition und somit ist der Diskurs über die Zukunft Europas wirkungsmächtig und für die Artikulation von Hegemonieprojekten offener den jemals zuvor. Dieses „gegen-hegemoniale Projekt“ (Gramsci) darf dabei nicht auf eine Reformierbarkeit der real existierenden Europäischen Union hoffen, sondern sollte klar für eine Neugründung Europas von unten forcieren und eine andere europäische Politik der Menschen in den Vordergrund stellen. Die Diskussionen über einen konstituierenden Prozess wie sie derzeit v.a. in Spanien geführt werden, können dafür ein Anfang sein. Dort werden die verschiedenen Forderungen nicht an die staatlichen Institutionen oder an die politischen und ökonomischen Eliten gerichtet, sondern im Gegenteil ein Prozess gestartet, welcher die Schaffung einer „“echten Demokratie“ (Abensour) anstrebt.

Ein gesamteuropäischer Diskurs für ein Europa von unten benötigt jedoch eine gemeinsame Begegnung und eine stärkere Vernetzung von Bewegung, Parteien und Gewerkschaften auf europäischer Ebene. Dabei können die Vernetzungen im Zuge des Blockupy-Protestes sowie die gemeinsamen europäischen Aktionstage, am 01.06.2013 oder auch der gemeinsame südeuropäische Generalstreik im November 2012, als erste Erfolge gewertet werden. Dabei müssen die verschiedenen Bewegungen und Forderungen in Europa gebündelt und europäpisch „gewendet“ werden.

Dafür scheint sich das Aktionsfeld „Wohnraum“ anzubieten. Seit Beginn der europäischen Krise sind die Protestbewegungen für bezahlbaren Wohnraum und gegen Zwangsräumungen in ganz Europa stark gewachsen. Gerade in Spanien stellt die „Plataforma de los Afectadas por la Hipoteca“ einen der Hauptakteure im Kampf gegen die Politik der Troika und der nationalen Regierung dar. Und auch in Deutschland, können die Bewegungen gegen Zwangsräumung, etwa in Berlin oder Hamburg, erste große Mobilisierungserfolge für sich verbuchen. Gleichzeitig ist dieses Thema offensichtlich kein nationales oder regionales Thema, sondern stark mit der europäischen Finanzmarktintegration sowie der aktuellen Krise verbunden. In allen großen Metropolen der EU sehen sich die BewohnerInnen enormen Mieterhöhungen und Zwangsräumungen ausgesetzt, wobei der Klassencharakter dieser strukturellen Aufwertungsprozesse stark und offensichtlich hervortritt. Damit ist der Konflikt um bezahlbaren Wohnraum auch diskursiv und medial vermittel- und mit der europäischen Austeritätspolitik verknüpfbar. Ein erster Schritt wäre dabei eine direkte Bezugnahme auf die Kämpfe in anderen europäischen Mitgliedsstaaten oder ein gemeinsamer europäischer Aktionstag zur Verhinderung von Zwangsräumungen. Langfristig besitzt das Thema das Potenzial als Bezugspunkt für andere Kämpfe, bspw. Reproduktionskämpfe oder Energiekämpfen zu dienen. Auf lange Sicht muss es daher das Ziel sein, einen Prozess zu starten, in der die Neugründung Europas auf der Tagesordnung steht.