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Talksshow: Tränengas, Fußball und Revolte: Wer gewinnt in Frankreich?

Frankreichs Regierung hätte zur Fußball EM der Männer gerne die Streiks und Proteste gegen das Arbeitsgesetz befriedet. Doch im Nachbarland macht man sich über die EM und die FIFA lustig. Denn dort geht es inmitten des Ausnahmezustands um elementare Arbeitsrechte. Ein Kampf für Demokratie ist entbrannt. Eingefordert wird nicht weniger als eine ganz andere, ganz neue Form von Politik. Der bislang heftigste Protest gegen das von der Regierung geplante Arbeitsgesetz fand am 14. Juni statt. Streiks und die Platzbesetzungen von Nuit Debout gehen weiter. Am 23. und 28. Juni sind die nächsten Demonstrationen angekündigt. Gleichzeitig erstarkt der Rechtspopulismus, rechte Hooligans verunsichern die Straßen und der Front National bekommt immer mehr Zustimmung. Wer gewinnt?

Mit:
Andreas Rüttenauer (TAZ, ehemaliger Chefredakteur und Sportjournalist)
Hilde Mattheis (SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Parteilinken)
Felix Syrovatka (Politikwissenschaftler, Experte zu Arbeits- und Sozialpolitik in Frankreich)
Mélina Germes (Geographin, Polizeiforscherin und Aktivistin bei nuit debout)

Moderation: Elsa Koester (neues Deutschland)

Jetzt das Projekt unterstützen: http://betterplace.org/p42827

Ein Projekt von: Institut Solidarische Moderne e.V.
In Kooperation mit: Leftvision, neues deutschland, European Alternatives.

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Veranstaltung in Hamburg: Grève générale und Nuit debout? Worum geht es bei den Protesten in Frankreich?

Diskussion / Vortrag
Mit Felix Syrovatka, Politikwissenschaftler, arbeitet schwerpunktmäßig zur Europäischen Union und zur materialistischen Staats- und Hegemonietheorie
Dienstag, 28.06.2016 | 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr

Centro Sociale, Hamburg
Sternstraße 2
20357 Hamburg

Nuit debout, in den deutschen Medien übersetzt als „Die Nacht über wach (bleiben)“, aber auch „Die Aufrechten der Nacht“ ist eine soziale Bewegung, die seit dem 31. März auf dem Place de la République in Paris und anderen Städten des Landes jeden Abend und in der darauf folgenden Nacht gegen geplante Änderungen des Arbeitsrechts protestiert. Insbesondere jüngeren Leute engagieren sich in dieser neuen Bewegung. Im Mai hat die Gewerkschaft CGT mit Streiks in mehreren Branchen und Blokaden begonnen. Die Proteste werden durch die Polizei mit großer Härte bekämpft.

Die Gesetzesänderungen des Arbeitsrechts sollen dazu führen, dass die Arbeitszeiten und Löhne direkt auf Betriebsebene ausgehandelt werden. Das wird aber auch zu längeren Arbeitszeiten und der Verringerung des Kündigungsschutzes führen. Und die französischen Gewerkschaften wissen, dass sie den Erpressungen einer Belegschaft durch die einzelnen Unternehmen, den Drohungen mit Entlassungen, auf der Betriebsebene kaum etwas entgegensetzen können. Dadurch ist der energische Widerstand einzelner Gewerkschaften zu erklären.

Wie wirkt sich der Reformdruck aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit auf  die Arbeitsbeziehungen aus? Welchen Zweck hat die – teilweise an die Hartz-Gesetze erinnernde – Gesetzesänderung? Wie ist  die grundsätzliche soziale und ökonmische Krisensituation in Frankreich? Und welche Auswirkungen haben die Protestaktionen auf das politische Klima in Frankreich ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen? Welche Rolle spielt die politische Linke in den Protesten und nützt es ihr, wenn die regierenden Sozialdemokraten weiter zerfasern? Und wie verhält sich der Front National, der in den Umfragen teilweise als stärkste Partei gehandelt wird?

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Der Wirtschaftsminister und das Ei!

Der französische Wirtschaftsminister Emanuel Macron wurde gestern beim Besuch eines Postamtes von CGT-Aktivisten mit einem Ei beworfen (https://www.youtube.com/watch?v=85TpZ51jxsA). Die aufgebrachte Menge blockierte das Postamt um Macron zu Rede zu stellen, wurde dann aber von der Polizei abgedrängt. Es hagelte Eier und Flaschen.

Was eigentlich nur eine Randnotiz ist, macht jedoch deutlich wie stark die Konfrontation zwischen den Streikenden und der Regierung mittlerweile ist. Der Unternehmensverband MEDEF hatte den CGT letzten Freitag als Terroristen beschimpft und für ein hartes Eingreifen der staatlichen Repressionsorgane plädiert. Die Streiks, so der einheitliche Tenor von rechten Parteien, Unternehmensverbänden und Presse verhindern das Wirtschaftswachstum und sind für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich. Und auch die sozialdemokratische Regierung droht den streikenden Gewerkschaften. Trotz der massiven Polizeirepression in den letzten Tagen, sieht Sie mittlerweile die Europameisterschaft „ernsthaft in Gefahr“ wie der Figaro berichtet und fordert alle Franzosen auf, sich „solidarisch“ zu verhalten und die Streikenden nicht zu unterstützen.

Bei seinem Besuch bei Alexis Tsipras forderte etwa Manuel Valls die Gewerkschaften auf, Frankreich nicht in „Geiselhaft zu nehmen“. Die Reformen seien notwendig, um „Frankreich wieder stark zu machen“. Doch die linken Gewerkschaften denken nicht daran sich von den Regierenden einschüchtern zu lassen und ihren Streik aufzuheben. Vielmehr sind seit Montag die Piloten von Air France im Streik und auch die Beschäftigten des SNCF haben ihre Streikmaßnahmen nochmals verstärkt.

Dennoch bleibt die Situation verfahren. Die Regierung bleibt gegenüber den Protestierenden hart und lenkt nicht ein. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass das Loi El Khomri nächste Woche im Senat sogar nochmal verschärft wird. Denn dort gibt es eine Mehrheit, für die das Gesetz mittlerweile zu abgeschwächt ist. Die Gewerkschaften und linken Parteien mobilisieren nun für den 14.Juni, der Tag an dem das Gesetz im Senat behandelt wird. Es ist davon auszugehen, dass es eine große Mobilisierung wird und hunderttausende auf den Straßen im Land demonstrieren werden. Jedoch müssen die Gewerkschaften und linken Parteien diesmal deutlich mehr Menschen auf die Straße bringen als bisher und über ihr derzeitiges Mobilisierungsniveau herauskommen. Denn trotz der beeindruckenden Bilder scheint weiterhin die Faustregel zu gelten, dass ein Gesetzesvorhaben nur wackelt, wenn mehr als eine Millionen Menschen landesweit auf der Straße sind. Das war bisher noch nicht der Fall, auch wenn die Gewerkschaften oftmals ihr Traumresultat schon verkündet hatten.

Ob dies ohne die sozialdemokratische CFDT überhaupt gelingen kann ist fraglich und wird sich wohl erst am 14. Juni zeigen. Ich bin eher skeptisch und glaube, dass die magische Grenze der eine Millionen nur mit einem ungeheuren Kraftaufwand mobilisiert werden könnte. Dennoch ist die Mehrheit der Bevölkerung immer noch gegen das Loi El Khomri und vielleicht geht diese Mehrheit ja am 14.Juni auf die Straße.

Photo: laetitiablabla/ Flickr.com

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Frankreich geht der Sprit aus

Die derzeitigen Proteste gegen die Arbeitsrechtsreform der sozialdemokratischen Regierung in Frankreich erinnern an das Jahr 2010. Damals hatten mehrere hunderttausend Menschen beinah täglich gegen die Rentenreform des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy demonstriert. Auch damals wurden Öl-Raffinerien blockiert, um die Regierung zum Einlenken zu bewegen. 2010 jedoch scheiterten die Blockaden der Raffinerien nach mehr als zwei Wochen aufgrund des unsolidarischen Verhalten der sozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT, dem Druck der Raffineriebetreiber und des massiven medialen und gesellschaftlichen Drucks. Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen, denn wieder sind in Frankreich Öl-Raffinerien blockiert. 

Derzeit ist der Zugang zu sechs von acht Raffinerien versperrt. Die Ölproduktion musste nach Angaben des CGT landesweit um 90% gedrosselt werden. Einige Tankstellen wurde bereits geschlossen und auch die Industrieproduktion zurückgefahren. Die Regierung reagierte bereits einer Räumung der Blockade in Fos-sur-Mer, jedoch führte dies nur dazu, dass drei weiteren Raffinerien von Arbeitern blockiert wurden. Viele Gewerkschaftsmitglieder begrüßen die Streiks und sind über ihre unterschiedlichen Gewerkschaftsmitgliedschaften hinaus mit den Blockaden solidarisch. So haben sich seit heute, neben den LKW-Fahrern und den Beschäftigten der Staatsbahn SNCF auch die Hafenarbeiter dem Streik angeschlossen. Morgen soll der Streik auf die Arbeiter in den Kernkraftwerken ausgeweitet werden. Damit könnte neben der Benzinversorgung auch mittelfristig die Stromversorgung gefährdet sein.

Die linken Gewerkschaften um den CGT, welche v.a. in den (ehemaligen) Staatsbetrieben gut verankert sind, zielen strategisch auf eine Lahmlegung der kompletten französischen Infrastruktur. In der Vergangenheit konnten die linken Gewerkschaften hier ihre größten Mobilisierungserfolge feiern und mit Streiks in diesen Bereiche auch vergangene Reformprojekte verhindern. Sollte der CGT, wie angekündigt, seinen Streik beim SNCF und im Pariser Nahverkehr RATP ab Juni weiter ausweiten können (bisher sind nur rund 10% der Belegschaft im Ausstand), dann droht Frankreich landesweit der Stillstand.

Wie sehr der Streik die Regierung jetzt schon unter Druck setzt, zeigt nicht nur die massive Repression gegen Protestierende und Streikende. Vielmehr ist es der nun aufziehende Gegenwind von Unternehmens- und Kapitalverbänden, welche den Druck auf die Regierung erhöht haben. In einer gemeinsamen Pressemitteilung haben sich alle großen Unternehmensverbände an die Regierung gewandt und eine gewaltsame Beendigung der Streiks gefordert. Ähnlich wie auch schon 2010 argumentieren sie, dass der Streik nicht nur negative Auswirkungen auf die Betriebe, sondern auch auf die Angestellten haben wird. Die Blockade der Raffinerien und die landesweiten Streiks seien ein Unrecht und ein schwerer Schlag für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Daher müsste der Staat endlich für Ordnung sorgen und die Streiks beenden. Ebenso reagierte der Öl-Konzerns Total auf die Blockade seiner Raffinerien und drohte, wie auch schon 2010, mit einer Schließung von Raffinerien und dem Abbau von Arbeitsplätzen in Frankreich. Damals konnte durch ähnliche Drohungen einzelne Blockaden beendet werden.

Die sozialdemokratische Regierung entgegnete den Blockaden und Streiks mit Drohungen und Gewalt. Der französische Präsident, Francois Hollande bezeichnete die Blockaden der linken Gewerkschaften als einen undemokratischen Erpressungsversuch einer kleinen Minderheit, welche Frankreich in Geiselhaft nehmen würde. Premierminister Manuel Valls kündigte an die Blockaden und Streiks mit aller Macht von den Sicherheitskräften räumen zu lassen und im Zweifel ein landesweites Demonstrationsverbot zu verhängen. Im Interview mit Europe1 drohte er dem CGT-Chef sogar persönlich: »Der CGT wird eine entschiedene Antwort der Regierung zu spüren bekommen!«. Nicolas Sarkozy hatte 2010 alle blockierten Raffinerien mithilfe von Sondereinheiten der Polizei räumen sowie die Raffinerie Grandpuits in der Nähe von Paris sogar beschlagnahmen lassen und alle ArbeiterInnen zur Arbeit zwangsverpflichtet (Syrovatka 2016: 136).

Anders jedoch als damals sind der CGT und die anderen linken Gewerkschaften entschlossen die Kraftprobe mit der Regierung auszustehen und einen einen landesweiten Ausstand zu provozieren. Als Antwort auf die Drohungen von Emanuel Valls hat der Generalsekretär des CGT, Philippe Martinez dazu aufgerufen den Streik »in alle Sektoren der französischen Wirtschaft, hinein in jedes Unternehmen« auszuweiten. Viele Ausstände sollen Anfang Juni beginnen und die Blockaden und Streiks unterstützen. Die Regierung soll dadurch zu Aufgabe ihrer Reformpläne gezwungen werden.

Ob dies aber wirklich möglich ist, lässt sich derzeit nur schwer voraussagen. Zwar ist die Ablehnung der Arbeitsrechtsreformen in der Bevölkerung weiterhin hoch ebenso wie die Bereitschaft in den Ausstand zu treten. Jedoch galt in Frankreich bisher die Faustregel, dass ohne die zweite große Gewerkschaft CFDT ein landesweiter und sektorenübergreifender Ausstand nicht möglich ist. Die sozialdemokratische CFDT hat sich jedoch anders als 2010 erst gar nicht dem Streik angeschlossen und sich vom Vorgehen der linken Gewerkschaften bereits distanziert. Von dieser Seite ist also kaum mit Unterstützung zu rechnen. Zudem bröckelt mit der Zunahme der Gewalt bei den Protesten der gesellschaftliche Rückhalt und die mediale Toleranz. Während vor einer Woche noch 75% der Bevölkerung die Proteste gegen das Loi Travail begrüßten, forderten nun bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts BVA rund 60% die Beendigung der Proteste und Streiks.

Im Jahr 2010 stellte die Blockade der Raffinerien den letzten Akt der Proteste gegen die Rentenreform dar. Das Unbehagen und die hohe Ablehnung neoliberaler Politik in der Bevölkerung sind jedoch bis heute geblieben.

Felix Syrovatka ist Politikwissenschaftler und forscht zur europäischen Arbeitsmarktpolitik. Sein Buch zur französischen Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik seit der Krise erscheint im Juni.

Der Artikel erschien am 25.05.2016 in der Onlineausgabe des Neuen Deutschlands und kann dort abgerufen werden.

Bildquelle: charlier.valentin/Flickr.com

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Frankreich: Eine Politik gegen die Mehrheit

Der Artikel erschien am 21.Mai auf dem „OXI-Blog – Wirtschaft für Gesellschaft“ und kann dort ebenfalls abgerufen werden

Es ist eine wirtschaftspolitische Wende, wie sie wohl nur von einem sozialdemokratischen Staatschef vollzogen werden kann. Angetreten als Alternative zur neoliberalen Kürzungspolitik in Europa und als Gegengewicht zur deutschen Kanzlerin Angela Merkel, ist der französische Präsident Francois Hollande nun auf dem Weg, mit seinem sozialdemokratischen Parteigenossen Gerhard Schröder in Sachen Arbeitsmarktreformen gleichzuziehen. In einem Interview mit dem Radiosender Europe1 erklärte er letztens, dass er lieber als Präsident im Gedächtnis der Menschen bleiben würde, »der auch unpopuläre Reformen durchgesetzt hat, als ein Präsident, der nichts unternommen hat.«

Dass er in seiner Amtszeit nichts unternommen hätte, kann man Hollande wirklich nicht vorwerfen. Schon vor seiner Neujahrsansprache 2014, in der er offiziell eine angebotspolitische Wende in der Wirtschaftspolitik ankündigte, hatte seine Regierung einen sogenannten »Wettbewerbspakt« verabschiedetet, der Steuern- und Abgabenerleichterungen in Höhe von 20 Milliarden Euro vorsah. Auf Grundlage eines Berichts des ehemaligen EADS-Vorsitzenden Louis Gallois, hatte sich die sozialistische Regierung noch im Dezember 2012 entschlossen, durch massive Unternehmensentlastungen und einer Flexibilisierung von Arbeitszeit- und Gehaltsregelungen, die Lohnnebenkosten drastisch zu reduzieren und damit die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft zu stärken.

Die neoliberale Wende von Francois Hollande vollzog sich dann mit der Durchsetzung des sogenannten Verantwortungspaktes und der mehrmaligen Umbildung der Regierung. Mit der Berufung von Manuel Valls zum Premierminister und Emanuel Macron zum Wirtschaftsminister wurde der wirtschaftsliberale Flügel in der sozialistischen Regierung gestärkt, während gleichzeitig mit dem Rücktritt von Arnaud Montebourg und Christiane Taubira der linke Flügel vollständig aus der Regierungspolitik verdrängt wurde. Zugleich wurde mit dem Verantwortungspakt, welcher weitere Steuer- und Abgabenentlastungen für Unternehmen von mehr als 30 Milliarden Euro jährlich vorsah, der Startschuss für eine ganze Batterie neoliberaler Reformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gegeben. So folgte noch Ende 2015 das sogenannte Loi Macron, welches mithilfe der Notverordnung 49-3 gegen den Widerstand der Gewerkschaften und des linken Flügels der Regierungspartei beschlossen wurde. Das Reformpaket des neuen Wirtschaftsministers Macron hatte die Abschaffung der Zugangsbeschränkung für bestimmte Berufe (Notare, Taxifahrer etc.), die Ausweitung der Nacht- und Sonntagsarbeit sowie eine umfassende Lockerung des Kündigungsschutzes zur Folge.

An diese angebotspolitische Reformpolitik schließen nun auch die vorgeschlagenen Arbeitsrechtsreformen der Arbeitsministerin Myriam El Khomri an. Auch wenn der Gesetzesentwurf in Folge verschiedener Konsultationsrunde mit den Unternehmensverbänden und den reformorientierten Gewerkschaften abgeschwächt wurde, sieht er immer noch einen radikalen Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und eine Erhöhung der Arbeitszeiten vor. So soll die Überstundenregelung – welche seit der Einführung der 35-Stunden-Woche ein Instrument für ihre Aushöhlung ist – weiter gelockert werden. Zudem sieht der Gesetzesentwurf vor, dass die Wochenarbeitszeit für den Zeitraum von 16 Wochen auf 48 Stunden (in Ausnahmefällen sogar auf 60 Stunden) erhöht werden kann. Ebenfalls soll der Kündigungsschutz gelockert und die Definition von »betriebsbedingten Kündigungen« stark erweitert werden. Vereinbarungen auf der betrieblichen Ebene, auf der die französischen Gewerkschaften bisher kaum verankert sind, sollen gestärkt und die Einführung betriebsinterner Referenden bindend werden. Hierdurch können in Zukunft Blockaden einzelner Gewerkschaften bei Betriebsentscheidungen umgangen werden.

Nach massiven Demonstration von Gewerkschaften und Studierenden, nach den nun seit mehr als einem Monat anhaltenden Platzbesetzungen überall in Frankreich sowie starker Kritik aus der eigenen sozialdemokratischen Partei und Fraktion hat der französische Premierminister Valls nun angekündigt das Gesetz auch gegen den Willen des Parlaments, mithilfe des Notparagraphens 49-3 durchzusetzen. Dieser Paragraph sieht vor, dass ein Gesetz dann als angenommen gilt, wenn die Regierung ein darauffolgendes, mit dem Paragraphen verknüpftes Misstrauensvotum erfolgreich übersteht. Eine Abstimmung und eine wirkliche parlamentarische Debatte über das Gesetz werden so unterbunden. Der Notparagraph ist daher sehr umstritten, wurde jedoch in der Vergangenheit schon mehr als 80-mal, von hauptsächlich konservativen Regierungen eingesetzt. Zuletzt bediente sich jedoch die heutige Regierung Valls bei der Abstimmung über das Loi Macron dem Notparagraphen, um die KritikerInnen in der eigenen Fraktion zu disziplinieren. Die autoritäre Durchsetzung des Loi Macron war damals vor allem dem Druck aus Brüssel und Berlin geschuldet, die aufgrund des anhaltenden Haushaltsdefizits die Umsetzung weitreichender Strukturreformen forderten. Emanuel Macron sagte damals, dass das Reformpaket in erster Linie ein »Reformsignal an die europäischen Partner und vor allem Deutschland« zu verstehen sei.

Sehr ähnlich scheint es nun auch beim Loi El Khmori gelagert zu sein. So hatten die europäischen Institutionen in ihren länderspezifischen Empfehlungen seit langem eine Lockerung des Kündigungsschutzes ebenso gefordert, wie eine Flexibilisierung der Arbeitszeit- und Gehaltsregelungen. Nach den Terroranschlägen von Paris und den damit verbundenen erhöhten Sicherheitsausgaben, hatte die französische Regierung angekündigt, die Maastrichtkriterien zu verletzen, gleichzeitig aber auch der Umsetzung geforderter Strukturreformen höchste Priorität einzuräumen. Hinzu kommt ein hoher interner Druck von den Arbeitgeberverbänden MEDEF und afep, welche sich seit Jahren für eine Reform des Arbeitsrechts sowie eine Aushöhlung der 35-Stunden-Woche stark machen.

Es wird interessant zu beobachten, wie sich die Situation in Frankreich in den nächsten Wochen entwickeln wird. Der Druck von der Straße, die Arbeitsrechtsreform zu verhindern, ist in den letzten Tagen noch einmal gestiegen. Die Bewegung, welche sind anfangs hauptsächlich auf die Hauptstadt Paris konzentrierte und von einem vor allem studentischen Milieu getragen wurde, erfasst mittlerweile das ganze Land. Mehr als 75 Prozent der Bevölkerung lehnen die Arbeitsrechtsreformen ab und halten sie für ungerecht. An den letzten Aktionstagen beteiligten sich hunderttausende Menschen landesweit. Blockaden der LKW-Fahrer und Streiks bei der Staatsbahn SNCF legten mehrere wichtige Verkehrsachsen lahm. Frankreich ist wieder einmal in Bewegung, doch scheint es fraglich, ob die Arbeitsrechtsreform noch gestoppt werden kann. Francois Hollande hat nun angekündigt mit aller Härte gegen die Streikenden und Protestierenden vorzugehen, denn die Arbeitsrechtsreformen seien »gut für Frankreich.« Er wird in Erinnerung bleiben und zwar als Präsident neoliberaler und autoritärer Reformpolitik.

Felix Syrovatkas Buch zur französischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erscheint im Juni.

Photo: Alter1fo /Flickr.com

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Mit Notparagraphen gegen die Republik

Jetzt also doch: Was seit Februar spekuliert wird aber von der Regierung Valls und auch von François Hollande in den letzten Wochen immer wieder abgestritten wurde, wird nun Wirklichkeit. Das umstrittene Loi El Khomri soll nun doch mithilfe des Notparagraphen 49.3 durch die Assemblé National geprügelt werden. Der Notparagraph verknüpft die Annahme des Gesetzes mit einem Misstrauensvotum gegen die Regierung. Eine Abstimmung und wirkliche Auseinandersetzung über das Gesetz wird so unterbunden. Ähnlich wie beim Loi Macron zeigt die nun erneute Nutzung des Notparagraphens die Zerrissenheit der Sozialistischen Partei, die ihrer eigenen Regierung nicht mehr folgen will. Denn große Teile der PS-Fraktion in der Assemblé hatte angekündigt gegen das Gesetz zu stimmen, allen voran der linke Flügel Vive La Gauche!. Scheinbar war es Valls und Hollande in den letzten Wochen und Tagen nicht gelungen die Fraktion trotz Drohungen und Einschüchterungsversuchen auf Linie zu bringen.

Die derzeitige Situation zeigt letztendlich, wie kaputt diese Regierung aber auch wie Zerstritten die gesamte politische Linke in Frankreich ist. Das was noch vor 10 Jahren „La Gauche“ genannt wurde, ist heute mehr denn je ein zersplitterter und zerstrittener Haufen. Die Front De Gauche, ein Zusammenschluss aus KPF und Parti de Gauche kann aus dem aktuellen Protesten kaum einen Nutzen ziehen und bietet auch für die abtrünnigen Sozialdemokraten keine politische Alternative.

Zudem offenbart die autoritäre Durchsetzung neoliberaler Reformen erneut die schwere politische Krise, in der sich die V. Republik derzeit befindet. Die Neoliberale Politik ist in Paris nicht mehr konsensfähig, spaltet die sozialistische Partei und ist nur noch mit autoritären Tricks durchsetzbar. Die V.Republik zeigt sich in einem erbärmlichen Zustand, die nun schon zum zweiten Mal nicht mehr in der Lage ist eine gemeinsame Politik zu formulieren. Noch schlimmer aber ist, dass diese Politik klar gegen die Interessen großer Teile der Bevölkerung gerichtet ist und der Neoliberale Charakter nicht einmal mehr verschleiert wird. Dies wird nicht zuletzt ist diese Politik Wasser auf die Mühlen des Front National, sind doch viele Vorschläge der Arbeitsrechtsreform, Forderungen der EU (länderspezifische Empfehlungen im Rahmen des europäischen Semesters) gewesen, welche nun in einer undemokratischen Weise durchgesetzt werden.

Photo: Liberation